Autor: Mühsam erklommen Pauli, Lilly und Karl August Baltasar die 120 Treppenstufen des großen Turmes von Burg Semmelstädt. Für so kleine Tiere ist das ein äußerst anstrengendes Unterfangen!
Karl: 112, 113, …
Lilly: (außer Puste) Sind wir bald da?
Karl: Ja, Lilly. Gleich haben wir es geschafft. Nur noch 7 Stufen, dann haben wir das Ziel erreicht.
Autor: Mit letzter Kraft kletterten sie die 120. Stufe empor, dann standen sie vor einer großen, schweren Holztür, die den Eingang zum Turmzimmer versperrte. Einer nach dem anderen zwängte sich durch den kleinen Spalt unter der alten Tür hindurch – dann waren sie angekommen. Das Turmzimmer war nicht sehr groß und nur spärlich möbliert. In einer Ecke stand ein wackeliger Stuhl an einem kleinen, von Holzwürmern heimgesuchten Tischchen, in der anderen Ecke stand ein altes Bett ohne Matratze und unter dem kleinen, gemauerten Fenster stand eine verstaubte Truhe, in der sich eine muffige Decke und ein wenig altes Porzellan befand – sonst war der Raum nur mit einer dicken Staubschicht und einigen zierlichen Spinnennetzen versehen.
Pauli: Hier ist Jesus wohl auch nicht.
Karl: Aber dafür werden wir vom Fenster aus, eine wunderschöne Aussicht über die gesamte Burg haben.
Autor: Die drei Mäuse kletterten flink auf die alte Truhe und von dort aus weiter auf den schmalen Fenstersims. Die Aussicht, die sich ihnen dort bot, verschlug ihnen erstmal die Sprache.
Lilly: Sieht das schön aus! Man kann das ganze Dorf Semmelstädt sehen und noch viel weiter.
Pauli: Da sehe ich den Kirchturm von Semmelstädt und die alte Mühle.
Karl: Und hinter dem Wald sieht man auch schon das nächste Dorf und ganz hinten die hohen Berge.
Lilly: Von hier oben sieht das alles so nah aus.
Karl: Das stimmt. Und man sieht auch die gesamte Burg. Deswegen wollen wir uns hier einen Überblick machen. Lasst uns einmal aufzählen, wo wir alles noch suchen müssen.
Lilly: Im Innenhof mit der Mauer und dem großen Tor.
Pauli: Im kleinen Wachturm und in der Stallung.
Karl: Im alten Brunnen wird die Krippenfigur wohl kaum sein. Dann müssen wir noch die Räume in der Burg durchsuchen.
Lilly: Die Küche mit der Speisekammer.
Pauli: Und der Speisesaal.
Karl: Der Thronsaal und natürlich die Bibliothek.
Pauli: Die Schlafzimmer
Lilly: Und der gemütliche Salon.
Karl: Und nicht zu vergessen der alte Speicher und der Keller.
Pauli: Der Keller auch? Ist da nicht das Verließ?
Karl: Wir müssen alles durchsuchen. Auch den dunklen Keller.
Pauli: Schade. Da ist es mir hier oben lieber. Hier ist es so schön hell.
Lilly: Man ist ja auch näher an der Sonne und den Wolken. Der Turm reicht fast bis zum Himmel.
Pauli: Kann man denn einen Turm bauen, der bis zum Himmel reicht? Bis zu Gott?
Karl: Nein, das ist unmöglich. Aber die Menschen haben das schon einmal ausprobiert.
Lilly: Wirklich? Wann denn?
Karl: Das ist schon viele tausend Jahre her. Gott hatte den Menschen gesagt, dass sie zu großen Völkern werden und sich auf der ganzen Erde verbreiten sollten. Aber die Menschen wollten sich nicht auf der Erde verteilen, sondern an einem Ort zusammenbleiben. Und deswegen bauten sie sich eine große Stadt.
Pauli: Das war ungehorsam, oder?
Karl: Genau. Die Menschen waren Gott wieder ungehorsam, aber das war ihnen egal. Sie wollten ohne Gott leben und selbst bestimmen, was sie machen und was nicht. Und deswegen wollten sie in ihrer Stadt einen Turm bauen, der so hoch war, dass er bis an den Himmel reicht. So stolz waren die Menschen, dass sie allen zeigen wollten, wie groß sie sind. Und sie wollten so groß sein wie Gott.
Lilly: Aber das geht ja gar nicht.
Pauli: Und was hat Gott dann gemacht?
Karl: Gott gefiel das gar nicht. Er wollte nicht, dass die Menschen den Turm weiter bauten und er wollte auch nicht, dass sie alle in einer Stadt leben.
Lilly: Hat er ihren Turm dann kaputt gemacht?
Karl: Nein. Gott hat die Menschen auch ganz ohne Gewalt dazu gebracht, dass sie aufhörten ihren Turm zu bauen und sogar anfingen, sich auf der ganzen Erde zu verteilen.
Pauli: Wie hat er das denn geschafft?
Karl: Er hat ihre Sprache verwirrt.
Lilly: Ihre Sprache? Wie das denn?
Karl: Vorher sprachen alle Menschen die gleiche Sprache. Es gab nur diese eine Sprache. Aber plötzlich fingen die Menschen an, in unterschiedlichen Sprachen zu reden und verstanden sich nicht mehr.
Pauli: Und das hatte Gott gemacht?
Karl: Genau. Und weil die Menschen nicht mehr miteinander reden konnten, konnten sie auch nicht mehr an dem Turm bauen, weil man sich dafür ja absprechen muss. Und sie wollten auch nicht mehr in einer Stadt zusammenleben. Und so zogen die Menschen von der großen Stadt weg und lebten nur noch mit den Menschen zusammen, die die gleiche Sprache wie sie sprachen, sodass sie sich auch miteinander unterhalten konnten.
Lilly: Und so taten die Menschen das, was Gott eigentlich von ihnen wollte. Genial!
Pauli: Und was geschah mit der Stadt und dem Turm?
Karl: Die Stadt nannte man Babel, das bedeutet „Verwirrung“. Und der Turm wurde mit der Zeit zu einer Ruine. Aber leider haben die Menschen nicht wirklich daraus gelernt. Sie sind immer noch stolz und wollen versuchen ohne Gott zu leben und ohne ihn in den Himmel zu kommen.
Lilly: Bauen sie denn immer noch Türme?
Karl: Das wahrscheinlich nicht mehr, aber sie versuchen zum Beispiel durch gute Werke oder irgendwelche anderen Taten in den Himmel zu kommen.
Pauli: Aber das geht doch nicht, oder?
Karl: Nein. Der Mensch kann nicht von sich aus zu Gott in den Himmel kommen. Weder durch einen hohen Turm noch durch gute Taten. Und deswegen kam Gott zu den Menschen.
Lilly: An Weihnachten, richtig?
Karl: Ganz genau. Und das ist der einzige Weg für den Menschen, um wieder zurück zu Gott zu kommen.