Autor: Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne ließen ihr goldenes Licht ein letztes Mal über die friedlich daliegende Ebene gleiten und malten lange Schatten auf den schon leicht frostigen Boden, bevor die Sonne ganz hinter den Gipfeln des fernen Gebirgszuges verschwand und die Landschaft in ein verträumtes Dämmerlicht gehüllt wurde. Vereinzelt sah man schon das Licht der Sterne zwischen den Wolken hervorblitzen, sonst war es dunkel geworden. Nur der Innenhof der Burg Semmelstädt wurde in das warme Licht von hundert flackernden Kerzen getaucht, die wie ein großer Stern an den Girlanden über dem Innenhof schwebten. Langsam wurde es leise auf Burg Semmelstädt. Für unsere drei Mäuse war das das Zeichen, sich auf den Weg in die Schlosshalle zu machen. Leise huschten sie durch ihre versteckten Gänge durch die Burg, bis sie schließlich durch eine kleine Ritze in der Wand direkt in die Schlosshalle blicken konnten.
Lilly: Seht nur, der Tannenbaum!
Pauli: Sieht der aber schön aus! So bunt und fröhlich.
Lilly: Und mit seinen vielen Kerzen erhellt er den ganzen Saal.
Karl: Dieses Jahr haben sie sich aber auch wirklich eine besonders schöne Tanne ausgesucht! Und dort neben der Tanne steht auch wie jedes Jahr die Krippe wieder. Um die zu sehen, müssen wir etwas näher dran gehen.
Lilly: Ich schaue nach, ob die Luft rein ist.
Autor: Schon war Lilly losgeflitzt. Nachzusehen, ob die Luft rein ist, war für die Mäuse immer sehr wichtig, wenn sie die große Schlosshalle betraten. Denn auf Burg Semmelstädt lebte auch der alte Kater Kastor. Vor dem mussten die Drei ständig auf der Hut sein. Und gerade, wenn sie ihr sicheres Versteck verließen und in die große Halle gingen, mussten sie sich sicher sein, dass Kastor nicht in der Nähe war.
Pauli: Karl August Baltasar, weißt du warum die Menschen zu Weihnachten einen Tannenbaum aufstellen?
Karl: Genau weiß ich das nicht. Der Brauch ist auch schon sehr alt und hatte anfangs überhaupt nichts mit Weihnachten zu tun. Erst mit der Zeit, fingen die Christen damit an, biblische Geschichten nachzuspielen und anhand des Tannenbaumes spielten sie die Geschichte von Adam und Eva nach. So entstand dann mit der Zeit der Weihnachtsbaum.
Pauli: Wer sind Adam und Eva?
Karl: Das waren die ersten Menschen, die es gab. Damals lebten sie noch im Paradies und redeten jeden Tag mit Gott. Da gab es das Böse noch nicht.
Pauli: Und warum gibt es jetzt das Böse?
Karl: Weil die Menschen Gott ungehorsam waren – die Bibel nennt das Sünde. Gott hatte ihnen erlaubt von allen Bäumen zu essen. Nur von einem nicht. Aber eines Tages taten sie es doch. Seitdem gibt es das Böse in der Welt und Menschen und Tiere leben nicht mehr im Paradies.
Lilly: (außer Atem) Da bin ich wieder – die Luft ist rein!
Karl: Prima! Dann lasst uns schnell zur Krippe laufen.
Autor: Leise hörte man das Trippeln der kleinen Mäusefüßchen auf dem alten Holzboden. Die Krippe stand auf einem kleinen Tischchen direkt neben dem Weihnachtsbaum. Mühsam kletterten die Drei an den rauen Tischbeinen hoch – dann standen sie endlich vor der Krippe. Es war ein gemütlicher Stall, der von dem Schein der Weihnachtsbaumkerzen schwach beleuchtet wurde. In der Mitte des Stalls stand eine hölzerne Futterkrippe. Daneben kniete eine junge Frau und hinter ihr stand ein ebenso junger Mann in einfacher Kleidung. An der linken Seite, etwas weiter von der Futterkrippe entfernt knieten und standen ein paar Männer in sehr zerschlissener Kleidung, die von einigen Schafen umringt waren. Im Hintergrund sah man eine Kuh und einen Esel und an der rechten Seite standen drei Männer, die außergewöhnlich prunkvoll gekleidet waren.
Karl: (andächtig/theatralisch) Darf ich vorstellen, Pauli? Vor dir siehst du den wahren Grund für Weihnachten.
Pauli: Die Holzfiguren?
Karl: Nein, natürlich nicht die Holzfiguren selbst, sondern das Ereignis, das vor rund drölfhundertvierundelfzig Jahren geschah und das mit diesen Holzfiguren nachgestellt wurde.
Pauli: Ist das die Geburtstagsfeier, von der du gestern sprachst?
Karl: So ähnlich. Genauer gesagt ist das die Geburt. Und zwar eine ganz besondere Geburt.
Lilly: Die Geburt von Jesus!
Pauli: Und warum war das so besonders?
Lilly: Na, weil Jesus Gott ist.
Pauli: Gott? Heist das, dass damals Gott geboren wurde?
Karl: Nicht ganz. Natürlich gab es Gott schon davor. Gott gab es ja schon immer. Aber an diesem Tag wurde Gott Mensch.
Pauli: Wow! Und warum?
Karl: Das ist eine lange Geschichte. Ich habe dir doch gerade von Adam und Eva er…
AutorKarl August Baltasar hielt plötzlich inne. Entgeistert starrte er auf die Holzfiguren vor sich.
Lilly: Was ist los? Warum redest du nicht weiter?
Karl: Das kann doch nicht sein. Das darf nicht sein!
Pauli: Was darf nicht sein?
Karl: Jesus ist weg!
Lilly: Jesus ist weg?
Karl: Seht doch – die Krippe ist leer!
Lilly: Tatsächlich! Das ist ja schrecklich! Was sollen wir nur machen?
Karl: Wir müssen sie finden – unbedingt!
Pauli: Aber wie?
Karl: Das weiß ich auch noch nicht. Ich schlage vor, wir berufen morgen einen Krisenrat ein, um die Sache genaustens zu untersuchen. Eins steht fest: Ein Weihnachten ohne Jesus wäre kein Weihnachten! Das müssen wir unbedingt verhindern!