18. Dezember 2024

Ein Hörbuch von Micha Wackerhage – Teil 18

Autor: Heute war der Speisesaal an der Reihe. Unsere drei kleinen Freunde huschten leise durch ihre Gänge. Sie hofften insgeheim, einige Krummen auf dem Boden zu finden, doch vor allem ging es ihnen natürlich um die Krippenfigur. Schließlich rückte Weihnachten nun immer näher und die Zeit wurde langsam knapp. Doch sie hatten die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Leise betraten sie den großen Speisesaal. Das Frühstück war schon vorbei und die lange Tafel, die mitten im Raum stand, war bereits für das Mittagessen gedeckt, doch es würde noch einige Zeit dauern, bis die Bediensteten die warmen Speisen bringen würden. Das war der perfekte Zeitpunkt für die Mäuse, um den verlassenen Saal aufzusuchen. Zu dieser Tageszeit war immer am wenigsten damit zu rechnen, dass jemand unerwartet den Raum betrat. Von der hohen Decke hingen zwei schwere Kronleuchter, an der einen Wand waren einige Fenster, an der anderen ein großer Kamin, sonst war der Raum fast ganz leer.

Pauli: Hier wird die Suche nicht lange dauern. Es gibt ja kaum Möglichkeiten, wo die Figur versteckt sein könnte.

Karl: Das stimmt. Dennoch sollten wir den Raum einmal gründlich unter die Lupe nehmen. Und vielleicht finden wir ja wenigstens ein paar leckere Reste vom Frühstück.

Lilly: Dann hätte sich der Besuch ja auch schon gelohnt.

Autor: Gesagt, getan. Die drei Mäuse kletterten auf einen der schön verzierten Holzstühle, von dort aus klammerten sie sich an die weiße Seidentischdecke und gelangten darüber auf die große, lange Tischplatte. Von hier aus konnten sie den ganzen Raum gut überblicken. Sie liefen einmal über die gesamte Tischplatte, um alles gesehen zu haben, dann widmeten sie sich den Krümeln, die hier und da auf der weichen Tischdecke lagen. Plötzlich fing Lilly an zu lachen.

Pauli: Was ist Lilly? Warum lachst du?

Lilly: Guckt euch nur diesen Kelch an. In der glänzenden Oberfläche spiegelt man sich, aber das Spiegelbild ist völlig verzerrt.

Autor: Jetzt sahen es auch die anderen. Lilly sah aus, als hätte sie außergewöhnlich lange Beine und einen rundlich zusammengestauchten Körper, auf dem ein kleiner, pausbackiger Kopf saß. Es sah einfach zu komisch aus.

Lilly: Probiert es mal auch aus.

Autor: Als nächster war Pauli dran. Er positionierte sich schön vor dem Kelch, während sich die anderen schüttelten vor Lachen. Der sonst etwas pummelige Pauli war plötzlich groß, dünn und langgestreckt und auf dem schlaksigen Körper ruhte ein riesiger Kopf.

Pauli: Sieht doch gar nicht so schlecht aus.

Autor: Sagte Pauli und versuchte sich dabei das Lächeln zu verkneifen, dann prustete auch er los. Die nächsten Minuten verbrachen die Mäuse damit, sich in unterschiedlichen Entfernungen und vor verschiedenen Kelchen hinzustellen, um ihre verzerrten Spiegelbilder zu betrachten. Oft machten sie dabei die komischsten Grimassen oder nahmen lustige Posen ein und kringelten sich dann vor Lachen, bis ihnen der Bauch davon weh tat. Irgendwann beruhigten sie sich wieder.

Pauli: Stellt euch vor, wir würden wirklich so aussehen. Das wäre lustig.

Lilly: Aber nur für kurze Zeit. Irgendwann wäre es langweilig. Und dann bin ich doch froh, dass wir so aussehen, wie in echt.

Karl: Aber stellt euch vor, wir hätten keine anderen Spiegel und würden uns nur in den Kelchen betrachten. Dann würden wir vielleicht wirklich glauben, dass wir so aussehen und hätten immer ein falsches Bild von uns.

Lilly: Das wäre ja komisch. Aber dafür hat man ja Freunde, die einem sagen können, dass man anders aussieht.

Pauli: Aber wenn jemand solche Freunde nicht hat? Dann erfährt er nie, wie er wirklich aussieht.

Karl: Und das nur, weil er in den falschen Spiegel geguckt hat.

Lilly: Da bin ich aber froh, dass ich auch einen richtigen Spiegel habe. Und zwei Freunde, die mir sagen, wenn ich ein falsches Bild von mir habe.

Karl: Das stimmt. Da fällt mir ein, dass man ja auch in anderen Bereichen häufig ein falsches Bild von sich haben kann. Zum Beispiel glauben manche von sich, dass sie ganz freundlich sind, aber in echt sind sie es gar nicht.

Lilly: Oder sie meinen, etwas zu können, obwohl sie es gar nicht tun.

Pauli: Aber da gibt es ja zum Glück auch Freunde, die einem das sagen können. Sonst glaubt man ja die ganze Zeit eine Lüge.

Lilly: Das stimmt. Aber einen Spiegel gibt es dafür nicht, oder?

Karl: Das habe ich mich auch gerade gefragt. Ich meine mich erinnern zu können, dass die Bibel sagt, dass sie in einigen Bereichen wie ein Spiegel ist, der uns zeigt wie wir sind. Aber auf jeden Fall kann ich mich an eine Geschichte aus der Bibel erinnern, wo auch ein Mann ein falsches Bild von sich hatte und wo Gott ihm dann eine Art Spiegel vorgehalten hat.

Pauli: Was für eine Geschichte denn?

Karl: Die Geschichte hat tatsächlich auch etwas mit Kelchen zu tun und spielt in einem großen Saal einer Burg, in dem ein fröhliches Fest gefeiert wurde.

Lilly: Da bin ich aber gespannt.

Karl: Der Palast, in dem sich der Saal befand, stand damals in der großen Stadt Babel.

Pauli: Das ist die Stadt, wo der große Turm gebaut wurde, oder?

Karl: Zumindest wurde sie an derselben Stelle oder in der Nähe davon aufgebaut und mit demselben Namen benannt. Und die Menschen in der Stadt waren auch genauso stolz und gottlos, wie damals. So auch der König Belsazar. Er feierte damals ein großes und ausschweifendes Fest, obwohl seine Stadt von einem feindlichen Heer belagert wurde. Aber er vertraute auf seine festen Mauern und seine starke Festung, sodass er keine Angst vor den Feinden hatte, sondern ausgelassen feierte. Im laufe der Feier fing er sogar an, über Gott zu lästern und aus den goldenen Kelchen zu trinken, die eigentlich im Tempel Gottes standen und die sein Großvater aus Jerusalem mitgebracht hatte, als er die Stadt erobert hatte. Er dachte, er wäre größer und stärker als Gott.

Lilly: Aber da hatte er ein falsches Bild von sich.

Karl: Genau.

Pauli: Und hatte er keine Freunde, die ihm das gesagt haben?

Karl: Nein. Seine Freunde hatten ja das gleiche falsche Bild von ihm. Aber Gott hielt ihm dann einen Spiegel vor, um ihm zu zeigen, wie er wirklich ist. Denn plötzlich erschien die Hand Gottes im großen Festsaal und schrieb etwas an die Wand. Da bekam Belsazar ganz weiche Knie vor Angst.

Lilly: Was stand denn an der Wand?

Karl: Das konnte er erstmal auch nicht lesen, aber dann kam Daniel, ein jüdischer Mann, der Gott liebte, und las ihm die Worte vor: „Mene, mene, tekel upharsin!“

Pauli: Und was bedeutet das?

Karl: Auch das erklärte Daniel ihm. Es bedeutet, dass Gott ihn gewogen und zu leicht erfunden hatte, und dass er seinem Königreich ein Ende gesetzt hat.

Lilly: Wie hat er ihn denn gewogen?

Karl: Damit meinte er, dass Gott sein Leben betrachtet hat und dass es in Gottes Augen nicht ausreichend war. Und genau das war es ja, wo Belsazar ein falsches Bild von sich hatte. Er glaubte, er wäre größer und stärker als Gott und hätte sein Leben im Griff, aber Gott zeigte ihm, dass er in Gottes Augen so gering war und dass Gott über sein Leben bestimmte. Noch in derselben Nacht eroberten die Feinde die große Stadt und besiegten den König Belsazar.

Pauli: Das ist aber eine traurige Geschichte.

Karl: Aber sie zeigt uns, wie wichtig es ist, dass wir das richtige Bild von uns haben. Und dass wir uns so sehen, wie Gott uns sieht. Und dafür müssen wir in die Bibel schauen. Aber jetzt lasst uns schnell wieder gehen. Es ist schon fast Mittag und die Bediensteten werden bald kommen.

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